Wir hatten noch richtige Schuhe. Schuhe mit Holzböden. Das half nicht nur bei der Verteidigung seines Pausenbrotes, sondern es klang auch noch herrschaftlich, wenn wir durch die Hallen des Gymnasiums schritten. Es hallte und stiefelte nur so. Wir trugen eben noch Schuhe, die genäht und genagelt wurden, nicht geklebt und verleimt. Unsere Schuhe waren aus Kalbsoberleder und nicht aus Stoff. Unsere Schuhe kamen aus dem Schuhmacherladen um die Ecke, nicht aus Taiwan.
Zur Erläuterung: Die Wortherkunft von "Schuh" liegt im Indogermanischen und später übernommen im Althochdeutschen und bedeutet soviel wie "bedecken, umhüllen". Weshalb es aber nicht "Fussschuh" heisst, zumal wir doch den "Handschuh" kennen, ist mir fremd. Kundig bin ich jedoch in der Definition der Schuhe: Ein "Schuh" ist eigentlich eine Fussbekleidung mit einem geschlossenem Schaft und einem Schaftabschluss, der über dem Knöchel sitzt. Der "Stiefel" reicht weit über den Knöchel, hinaus. Der "Halbschuh" reicht nur bis unter die Knöchel und die Sandale hat einen offenen Schaft. Das wären mal so in Kürze die Definition der Schuhtypen der Lederschuharten. Dann kommen da noch die Arten der HighHeels dazu und diejenigen der Turnschuhe.
Der Schuh ist längst aus dem Kinderschuh-Status des Fussschutzes herausgewachsen und ist in unser Alltag eingewandert. Der gestiefelte Kater, das Mädchen mit den roten Schuhen, Aschenbrödel und Konsorten wussten es schon längst: Der Schuh dient als Identifikation, als Mode-Accessoir, als Sex-Fetisch und als Gruppenzugehörigkeitssymbol. Jeder weiss, was "Springerstiefel" oder "Jesuslatschen", "Moonboots" oder "Regenstiefel", "Schleicher" oder "Schlüpfer", "Nuttenstiefel" oder "Cowboystiefeletten" erwarten lassen. Sag mir, womit du deine Füsse umhüllst und ich sag dir, wo du mich was kannst. Frau Westwood hat einmal bemerkt, dass alle, die Turnschuhe tragen, ebenfalls ein Baseballcap tragen würden, um das Loch in Ihrem Hirn zu verbergen. Wieso aber tragen dann Springerstiefeltypen meist Glatze? Weiss ich nicht, aber was ich weiss, ist, dass es zur Zeit des Sonnenkönigs eine Verordnung gab, die es nur Adligen gestattete, rote Absätze zu tragen. In Ägypten trugen nur die Pharaonen goldblecherne Sandalen, Priester durften Ledersandalen tragen und das Volk ging mit baren Füssen. Im Mittelalter verriet die Länge der Schuhspitze der damals populären "Schnabelschuhe" alles über die Zugehörigkeit gewisser Familien oder des Standes. In der Moderne zeigen die blitzeblanken Bussinessschuhe, dass der Träger nicht arbeiten muss in irgendeiner körperlichen Art, da diese Schuhe meist ein leichtes oder überhaupt kein Profil besitzen, oftmals wie der Besitzer selbst. Aber er zeigt auch, dass sein Augenmerk auf die ästhetischen Dinge des Lebens gelenkt ist und - nicht zuletzt - dass er sich solche Schuhe leisten kann. Heute trägt man "Sneakers". Wir sprachen noch von Sportschuhen. Wir trugen sie eben noch beim Sport. Und nur beim Sport. Der Dauereinsatz der Sneakers zeigt, dass die heutige Jugend stets bereit ist, abzuhauen, Sport zu treiben oder über Zäune zu klettern. Passend zu der Überwachungsmaschinerie wird heute nur noch geschlichen. - Wir traten auf! Auftreten kann man heute auch noch als Trägergruppe der Arbeiterschuhe "Doc Martens". Hingegen sagen "Converse AllStars"-Träger, dass sie zu faul sind, sich über Schuhe Gedanken zu machen, da Schuhe nur flach, bequem, schnell auszuziehen und stinkend sein müssen. Sandalenträger zeigen, dass sie den Weltfrieden wollen, doch wo hier der Zusammenhang liegt, ist mir nicht bekannt. Was mir aber bekannt ist, ist, dass Schuhfetischismus auch Retifismus genannt wird und als Stimulation der sexuellen Erregung dient. Niemand hätte damals gedacht, dass die Mokassins als Fetisch enden könnten. Sind Sie an Retifismus erkrankt, dann gehören Sie jedoch wohl eher der High-Heels-Stiefel-Generation an als der Sandalen-Ära. Wenn Sie Schuhe lieben - nicht für sexuelle Zwecke - wenn Sie einfach gerne viele, schöne Schuhwerke besitzen, dann sind Sie calceuphil (calceus=Schuh), wenn Sie die Barfüssigjkeit lieben, sind sie ein Pedophiler (pedes=Fuss).
Die Zeiten ändern sich, aber ich trotze. Ich bin nichts von den oben Beschriebenen; ich trage bloss immer noch einfache, aber reale, genähte und genagelte Herrenschuhe aus echtem Leder mit richtigen Sohlen und hölzernen Absätzen, nicht mit Weichgummi-Beamtensohlen oder mit luftgepolstert-atmungsaktiv-wasserdichten Turnschuhsohlen. Aber - wie ich immer wieder bemerke - es haben sich nicht nur die Schuhe und die Beziehung zu den Schuhen geändert, sondern auch die Böden und die Beziehung zu Böden. Früher liebte ich jeden Boden, ob Stein, Parkett, Holz, Keramik, alles war mit recht. Die heute verbreitete Art von Kunst-Parkett, dem Laminat, ist jedoch zu meinem Erzfeind geworden, denn diese Art von Fussboden ist der Untergang des Schuhes mit Holzabsätzen.
In diesem Sinne: "Schrei-Heel!"