Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt hatte recht: Die Beobachter beobachten die Beobachtenden. Auch George Orwell und Konsorten behalten recht: Es werden nämlich immer mehr harmlose Zyniker als mögliche Revolutionäre beobachtet, altgediente Ausländer als potentielle Terroristen observiert und Pollenallergiker als Cannabis-Konsumenten im geröteten Auge behalten. Zeitschriften wie "Der Beobachter", "The Observer" oder das "Schlüsselloch" schiessen wie Pilze aus dem Boden, Reality-Doku-Soaps im TV filmen das wahre Leben von anderen und begleiten sie bis aufs Klo, Unterhaltungssendungen wie "Versteckte Kamera" begeistern die Zuschauer und Filme wie "Das Netz", "Die Firma", "Fair Game" oder "Matrix" eroberten die Bildschirme schon längst.
Moderne Spanner benutzen "MSN" und "Skype", altmodische gucken immer noch durch jedes Loch, Voyeure blinzeln in jede Umkleidekabine, sogar moderne Haustüren verfügen über einen Spion, Nachbarn beobachten die Blockwarte per Fernglas, wobei die Blockwarte wiederum die Kommunisten bespitzeln. Auch auf Koffer, die möglicherweise herrenlos sein könnten, wird am Bahnsteig oder am Flughafen ein Auge geworfen und Ausserirdische werden mit Fernrohren beäugt, die Vogelwarte kundschaftet tierische Flugobjekte mit Feldstechern aus, Radarvorrichtungen überwachen die See, Satelliten kontrollieren uns bei unserem Sonntagsspaziergang, Hartz IV- und Sozial-Detektive beschatten die Kranken und Armen, über Besuche im Gefängnis oder Irrenanstalten wird Statistik geführt, Bildungseinrichtungen beaufsichtigen unsere Schützlinge, die Bürgerwehr patrouilliert zum Wohle der Sicherheit, aber auch Gauner stehen Wache und die Polizei - wenn sie auf Streife geht - beschirmt die Schmierestehenden, Paparazzis lauern an jeder Ecke, Überwachungskameras sieht man bei allen öffentlichen Plätzen und in allen öffentlichen Verkehrsmitteln - in öffentlichen Gebäuden sieht man sie meist nicht, obschon sie da sind. Die Einkaufszenter-Bonus-Punkte-Karten durchmustern unser Einkaufsverhalten, man beobachtet sogar "Ebay"-Angebote und auch Grosskonzerne wie "Google" überwachen die Earth und stellen Maps zur Verfügung, Anti-Viren-Programme passen auf, dass keine Spyware auf unserem Rechner landet, WebAnalytics-Systeme spionieren ihre Besucher aus, Teenies laden sich eine "Friendstracker"-Software auf ihr Handy, um immer zu wissen, wo ihr Boyfriend gerade fremdgeht und Kreditkartenbelastungen werden analysiert, Telefonate angezapft, Emails gelesen, Briefe geöffnet, Gespräche belauscht. Sogar Kleinkinder und Neugeborene erliegen der Überwachung per Babyphone.
Im Dienste der - womöglich noch der internationalen - Sicherheit und zum Schutz von nichts zu verbergen habenden Bürger darf jeder potentielle Mensch überwacht werden, wie die Terroristenjäger es eben gerade wünschen. Und sogar mit gutem Recht, denn vor dem 11.September 2001 gab es keine Terroristen, man war damals wirklich wehrlos gegenüber bösen Menschen. Auch die Entwicklung der Gesellschaft gibt den Beobachtern recht, denn immer mehr Profilierungssüchtige finden ihren Weg ins richtige Licht, Rampensäue brauchen keine Bühne mehr und ichbezogene Egomanen erhalten eine Plattform, die es früher nicht gab. Das totale Überwachungssystem, welches subtil und latent in unser Leben eingreift, ist auch das Paradies für Exhibitionisten. Mussten sie früher doch noch nur mit einem Mantel bekleidet im Park prüden Frauen auflauern, können sie heutzutage bloss vor die Türe treten oder im WorldWideWeb herumsurfen und schon sind alle Augen auf sie gerichtet, denn die Voyeure, ... die sitzen an der Macht!
Kein lästiges Türeoffenstehenlassen in öffentlichen Toiletten und nie mehr absichtliches Vorhänge-aufreissen, um beobachtet werden zu können! Auch der Sex in der Öffentlichkeit, um das Risiko des Erwischtwerdens zu steigern, ist nicht mehr nötig: Endlich können Exhibitionisten dank der totalen Observation ein ganz normales Leben führen.
In diesem Sinne: "Take a walk on the public side!"